Montag, 28. Juni 2010

Weshalb bei dieser WM vom ersten Spiel an gefeiert wird, als hätte Deutschland den Titel geholt

Gleichsam unerwartet wie das herrliche Wetter in diesen Tagen beschert Jogis Truppe den Deutschen die Grundlage für eine Neuauflage des Sommermärchens, das sie als Gastgeber der WM 2006 mit ungewohnter Leichtigkeit so ergreifend inszenierten. Und diese Vorlage lassen die Deutschen nicht ungenutzt.

Fotos: BjTh
In Hannover feierten die Fans bereits den Sieg im Vorgruppenspiel Deutschland gegen Ghana am vergangenen Mittwoch, als hätte sich die Mannschaft damit fürs Finale qualifiziert.
Manch einer wird die Begeisterung und Feierlaune im Lande als übermütig und realitätsfern abtun wollen. Die Jungs seien viel zu jung, als dass sie so überzeugt von sich sein dürften, ließen vor allem jene verlauten, für die die WM weder Anlass zu Ärger noch zu größerer Freude ist. Selbst der Bundestrainer ermahnte seine Spieler nach der brillanten Vorstellung im Spiel gegen Australien, sich ein Quäntchen Demut zu erhalten, ohne die eine Mannschaft in einem solchen Turnier nicht weit käme. Die ewige Skepsis und Miesmacherei, trotz vergleichsweise steter Erfolge der Deutschen im Fußball, mit der sich ein Rudi Völler noch rumzuärgern hatte, scheint einer neuen Lust an Unbekümmertheit und Optimismus unter den Fans gewichen zu sein. Kein Wunder, dass es Joachim Löw - auch und gerade wegen seiner Bescheidenheit geschätzt - flau wird im Magen, wenn ihn in Südafrika allzu hohe Begeisterungswellen aus der Heimat erreichen.
Keiner wusste 2006 so genau, ob die Deutschen lediglich ihre Gastgeberrolle beherrschten oder ob sich tatsächlich etwas getan hatte beim Selbstverständnis der Deutschen. Inwieweit war das Sommermärchen nur eine gelungene Inszenierung und was hatte die Nation in jenem Fußballsommer wirklich für sich entdeckt? Wochenlang füllten soziologische und philosophische Betrachtungen dessen, was sich da im Rahmen eines schnöden Sportwettbewerbs zu ereignen schien, die Feuilletons großer Zeitungen.

Vier Jahre später lassen sich die Ereignisse leichter einordnen, denn es zeichnet sich ab, dass viele Phänomene, die 2006 verblüfften und überraschten, auch diese WM und somit sehr wahrscheinlich die kommenden Meisterschaften prägen. Allerdings mit einem entscheidenden Unterschied: In die Deutschlandflagge gehüllte Fans, Deutschlandfarben auf Fan-Artikeln und Gebrauchsgegenständen bis hin zur Unterwäsche, beflaggte Vorgärten und PKW sind mittlerweile ein gewohntes Bild. Was bei der letzten WM sogar die Akteure selbst, also die, die ihren Körper, ihren Garten, ihr Auto und ihre Kinder mit Accessoires in Deutschlandfarben schmückten, überraschte, ist nun zur liebgewonnen Tradition geworden, der, zugegeben, manchmal noch ein wenig die Selbstverständlichkeit fehlt.

Dort, wo die Selbstverständlichkeit fehlt, wird inszeniert, mit nostalgischem Blick zurück auf Geschehenes bewusst und angestrengt zelebriert, kopiert, versucht, Gehabtes zu wiederholen, ließe sich behaupten. Bei dieser WM geschieht auch das, aber nicht nur. Und genau dies wagten auch die mutigsten Feuilleton-Artikel nicht vorherzusagen: Deutschland hat sich und der Welt nichts vorgespielt, als es damals mitmachte, Flagge zeigte, sich selbst genauso wie andere feierte, sich über Erfolge freuen und Niederlagen verschmerzen konnte und ein gesundes Nationalbewusstsein demonstrierte. Eines, das das internationale Publikum nicht erschreckte, nicht anwiderte, sondern das einer jeden Nation eigen ist und für Deutschland als längst überfällig angesehen wurde.Ganz so locker, wie wir uns das wünschen, gehen wir dennoch nicht um mit dem, wofür es eine Fußballweltmeisterschaft im Land bedurfte, um es zu entdecken. Leider müssen die Deutschen noch immer auf der Hut sein, stets müssen sie aufs Neue entscheiden, wie die Deutschlandflagge im Vorgarten oder am Fenster eines Wohnblocks wohl gemeint ist, was sie symbolisieren soll und ob man sich identifizieren darf oder will. Symptomatisch für die ungewollte Verkrampftheit, wenn es darum geht, Deutschland im Wettbewerb mit anderen Nationen zu feiern, ist wohl auch die Verballhornung jeglicher Sieges- und Fangesänge. Oder hätte unsere Lena etwa immer wieder "Ich liebe Deutschland" rufen dürfen, während sie die Deutschlandfahne schwenkte? Gut angekommen ist hingegen Lenas ironisches und veralbertes "Ich liebe deutsche Land, ich liebe deutsche Land." Selbstironie ist eine wichtige Eigenschaft, warum also nicht weiter so?, Schland, oh, Schland.