Wenn in der Natur alles zum Leben erwacht, Bäume und Sträucher mit frischem Grün ausschlagen, Blumen ihre Knospen öffnen, die Sonne vom blauen Himmel strahlt und die Vögel zwitschern, dann fühlen auch wir Menschen uns wie wachgeküsst oder gar wie neugeboren.
Das sei überhaupt nicht verwunderlich, weil Menschen Teil der Natur seien und von dem in ihr ablaufenden Zyklus nicht unbeeinflusst blieben, so sind sich Ärzte und Wissenschaftler, die das Phänomen "Frühlingsgefühle" erklären, überwiegend einig.
Nicht bewiesen ist indes, dass wir uns beflügelt von Hormonen im Frühjahr leichter und schneller verlieben.
Der Neubeginn in der Natur lässt sich kaum ignorieren, vermittelt er sich den Menschen doch über alle Sinne. Wir können ihn riechen, sehen, fühlen, hören und schmecken - den Frühling. Gerüche würden Menschen besonders stimulieren, meinen Experten. Der Duft des Frühlings sei bei den meisten mit positiven Erinnerungen verknüpft und wirke daher stimmungsaufheiternd und günstig auf das allgemeine Wohlbefinden, erklärt beispielsweise der Geruchsforscher Hanns Hatt, Professor an der Ruhr-Universität Bochum, in einem Gespräch mit der Berliner Morgenpost Online.
Eine positive Stimulierung über den Geruchssinn hängt beim Menschen wesentlich an Erlebnissen und Erfahrungen, die er mit bestimmten Gerüchen assoziiert und angestoßen durch Duftmoleküle gerne erinnert. Darüber hinaus sprechen manche Experten Düften eine große
Rolle bei der menschlichen Fortpflanzung zu.
Die Erkenntnis, dass Menschen sich bei der Partnerwahl ganz gut auf ihren Geruchssinn verlassen können, ist nicht neu. Über den persönlichen Körpergeruch, davon sind Wissenschaftler verschiedenster Disziplinen schon lange überzeugt, nehmen wir unter anderem wahr, welcher Mensch in seiner genetischen Ausstattung dem eigenen Gen-Repertoire am wenigsten ähnelt und damit für eine gesunde Fortpflanzung und als potentieller Partner in die engere Wahl gezogen werden kann.
Jünger hingegen sind die Forschungsergebnisse von Professor Hatt, die er 2008 in seinem Buch "Das Maiglöckchen-Phänomen. Alles über das Riechen und wie es unser Leben bestimmt" einer breiten Öffentlichkeit vorstellte. Der gesamte menschliche Körper sei fähig, Geruch wahrzunehmen, nicht allein die Riechschleimhaut und zugehörige Geruchrezeptoren in der Nase. Selbst Spermien seien in der Lage, den von weiblichen Eizellen ausgehenden Maiglöckchenduft zu riechen und ihn als Navigationshilfe zu nutzen.
Im Frühling überkommt Menschen nicht nur die Lust, wieder bewegungsreicher zu leben und sich gesünder zu ernähren. Auch die Sehnsucht nach glücklicher Zweisamkeit, Verliebtheit und Sexualität ist bei vielen in den Frühjahr- und Sommermonaten größer als in der dunklen und kalten Jahreszeit. Einige Forscher machen für diesen Umstand vor allem mehr und helleres Tageslicht verantwortlich. Die Produktion des Schlafhormons Melatonin nimmt bei Helligkeit ab und es kommt stattdessen zu einer erhöhten Ausschüttung des Glückshormons Serotonin. Da Melatonin unter anderem die menschlichen Sexualhormone beeinflusst und lusthemmend wirkt, glauben viele Hormonforscher, dass Frühlingsgefühle und mit ihnen die Offenheit für einen Flirt an hormonelle Prozesse gekoppelt sind.
Dem Endokrinologen Prof. Martin Reincke, Direktor der Medizinischen Klinik - Innenstadt in München, ist das zu kurz gedacht. Anders als früher, als Menschen außer dem natürlichen Licht kaum Lichtquellen besaßen, bestehe heute durch elektrisches Licht kein signifikanter Unterschied zwischen
den Jahreszeiten. Zudem würden saisonale Temperaturschwankungen längst durch Heizungsluft nivelliert. Die Annahme, dass Licht und Wärme heute noch eine hormonsteuernde Wirkung hätten, hält Reincke demnach für falsch.
Ganz gleich aber, ob Menschen ihre bessere Laune und die größere Aufmerksamkeit für einander ihren Hormonen verdanken oder nicht - eine höhere Wahrscheinlichkeit, sich im Frühjahr zu verlieben, besteht in jedem Fall, und sei es allein wegen des allgemein gesteigerten Wohlbefindens und der luftigen Kleidung.
"[...] [W]as auch immer wir fühlen, hat einen Grund", stellt Prof. Helmut Schatz, Facharzt für Innere Medizin und Hormonexperte aus Bochum, in einem ARD-Interview fest und widerspricht der These, Frühlingsgefühle seien nur eingebildet.
Sollte es Singles also mit kurzem Rock, Muscle-Shirt und Maiglöcken-Parfum gelingen, im Frühjahr schnell und unkompliziert auf die große Liebe zuzusteuern? Ganz so einfach ist es dann doch nicht. Der Duft von Maiglöckchen erinnere viele vielleicht an den Frühling, an Neuanfang, Wohlbefinden oder Unbeschwertheit und rufe Sympathie zwischen manchen Menschen hervor, meint Prof. Hanns Hatt. Ebenso könnte der Duft aber auch negative Assoziationen abrufen, wie beispielsweise die Erinnerung an eine ungeliebte Tante, der stets ein starker Maiglöckchenduft anfhaftete. Ähnlich ambivalent verhält es sich mit der Frühlingsgarderobe: Nicht immer beflügelt ein kurzer Rock oder ein bauchfreies T-Shirt die Phantasie, die so wichtig ist, damit zwei Herzen sich finden.